Überraschung aus dem Osten und der Krösus

21 Oktober 2010 Text: Manuel Ort, Matthias Häger
Foto: Thorsten Drack / td-pictures

Wer hätte das vor Saisonbeginn dacht? Erfolgreiches, spektakuläres Eishockey sorgt für begeisterte Zuschauer.  Mit einem starken Sturm, einer nicht ganz sattelfesten Abwehr und viel Herzblut steht man bereits nach wenigen Spieltag auf einer Top-Position in der Tabelle und alles erweckt den Anschein, als könne man sich dort oben längerfristig behaupten. Die Antwort: Das hätte vorher wohl jeder gedacht. Sofern man die Wild Wings meint. Nicht aber beim ETC Crimmitschau.

Von belächelt bis bemitleidet reichte die Bandbreite der Emotionen, die Eishockey-Deutschland für die chronisch klammen, aber stets sympathischen Eispiraten aus dem Sahnpark übrig hatte. Ein ekliges Gefühl für Fans, denn das letzte was man braucht ist Mitleid. Umso stärker sind die Glücksgefühle in Westsachen, es allen einmal gezeigt zu haben und im Dunstkreis zur Spitze auf Tabellenplatz drei zu stehen. Das Spitzenspiel am 11. Spieltag lautet tatsächlich ETC Crimmitschau vs. Schwenninger Wild Wings. Die armen Ossis gegen den potenten Ligakrösus aus dem Vorzeigebundesland Baden-Württemberg. Während man dort mit den Milliarden um Stuttgart21 jongliert und sich an der Tabellenspitze selber in eine Torwartdiskussion verrennt, ist man im Landkreis Zwickau froh, dass es endlich wieder ehrliches, einfaches und erfolgreiches Eishockey gibt. Dazu braucht es keine Milliarden, dazu braucht es nur ein wenig Herz.

Johnny Depp hat ausgedient.

Ich verspreche hoch und heilig, dass ich an dieser Stelle und in diesem Artikel kein Piratenklischee benutze. Keine Kaperfahrt, keine erfolgreichen Beutetouren, kein Parlay und keine Augenklappe. Johnny Depp schicke ich hiermit in Rente, betrunken-lallende Figuren mit verwegenen Outfit gibt es auch in jedem Eisstadion, da brauche ich keinen überdrehten und in elendigen Fortsetzungen zu Tode gewalzten Disney-Film, um auf ein Spiel am Freitag abend hinzuweisen.

Analysieren wir doch lieber, warum die Eispiraten da oben stehen. Denn bei den Wild Wings braucht es keine große Analyse. Der ohnehin starke Kader aus der Vorsaison wurde noch einmal aufgepeppt, Geschäftsführer Thomas “Dagobert” Burger sprang in seinen Geldspeicher und tauchte mit den DEL-erfahrenen Krestan, Melischko, Mayr und Renz am linken Handgelenk wieder auf. Manager Wagner musste nur noch die Unterschrift druntersetzen, die gute Schwarzwaldluft tat ihr übriges. Wenn die Wild Wings mit diesem Kader nicht Meister werden, dann schreibe ich nur noch über Frauensynchronschwimmen.

Ganz anders dagegen in Crimmitschau. Bei der Frage nach Geld wurde vor Saisonbeginn wie üblich die Losung ausgegeben “Haben wir keins.” Also sparen wo es nur geht. Beim Trainer fing man an. Larry Suarez arbeitet nur auf 400 Euro-Basis beim ETC und verdient sein Geld sonst als Raymond Domenech- Double. Durch den Eklat um Anelka kam er auch zu spät zur Saisonvorbereitung, geschadet hat es aber nur bis zum zweiten Spieltag, als man mit 11:1 in Ravensburg unterging. Danach fingen sich die Crimmitschauer, holten sechs Siege in acht Spielen und stürmten verdient auf Tabellenplatz drei, punktgleich mit dem ESV Kaufbeuren.

Auch die Spieler sind im Sahnpark keine Großverdiener. Der als “Enfant Terrible” verschrieene Garret Bembridge kam nach einem wilden, sechsjährigen Trip durch einige Ligen zurück in die Heimat. Dean Strong kam beinahe frisch von der Uni, Doug Andress fand im Herbst seiner Karriere auch keinen anderen Arbeitgeber mehr und im Tor teilt sich ein junges Trio die Rolle der Nummer eins. Doch die Mischung machts: Adriano Carciola, die Albrecht-Brüder (Georg und Hannes, auch wenn Theo und Karl zum Budget des Vereins passen würden) und einige FöLis aus Berlin sorgen für eine junge, hungrige Meute – dazu mit Andress, Saurette und Kosick alte Hasen, die vorangehen.  Nicht zu vergessen der unverwüstliche Torsten Heine, der seit gefühlten 85 Jahren in Crimmitschau spielt und jedem, der es hören will, bestimmt noch von den Siegen im offenen Stadion gegen Weißwasser (12.10.49 4:1) und Dynamo Berlin (13.3.54 12:2) erzählen kann. Will aber keiner hören.

Favoritenrolle?

Eine clever zusammengestellte Mannschaft, mit Leidenschaft, aber limitiert gegen den anerkannten Ligakrösus und abgezockten Aufstiegsfavoriten, der eine in Teilen DEL-reife Truppe aufs Eis bringt. Da ist die Frage nach dem Favoriten schnell beantwortet. Doch ganz so einfach ist es nicht. Die Eispiraten haben einen Lauf, die Wild Wings ein paar Verletzte und neigen dazu zum Schlendrian. Manchmal wirkt es – besonders bei eigener Führung so – als hätten sich die Spieler intern verabredet, dass derjenige der im Powerplay das nächste Tor schießt, eine Kiste Bier zahlen muss. Schwitzen scheint im Schwarzwald genauso verpönt zu sein. So wird der Puck hin- und hergeschoben, das Ergebnis verwaltet und am Ende wundert man sich dann, wenn der Gegner auf einmal wieder da ist. Gerade erst so geschehen am Dienstag im Pokal, als man gegen eben jene Eispiraten zweimal einen 2-Tore-Vorsprung aus der Hand gab und in einer Gemengelage aus Peinlichkeit und Arroganz aus dem Pokalwettbewerb ausschied.

Das Eis ist bereitet für ein heißes Duell und wir alle hoffen, dass der Sahnpark für einen Abend mal wieder den alten Glanz versprüht. Das Spiel hat viele Zuschauer verdient, es ist kalt, es ist dunkel und beide Teams spielen gutes Eishockey. Die STARTING6-Kristallkugel spuckt ein knappes 4:3 für die Wild Wings aus, los geht es am Freitag um 20:00 Uhr im Sahnpark zu Crimmitschau.

Setzt die Segel!


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4 Kommentare »

  • SchorschETCC said:

    Guter Bericht und vor allem eine sensationelle “Kristallkugel”! ;-)

  • Matthias Häger said:

    Tja, bei STARTING6 ist eben Fachkompetenz gebündelt. ;)

  • Kurt said:

    Als Dresdner bin ich jetzt im Zwiespalt. Eigentlich will ich ja eigentlich nicht, daß Du nur noch über Frauensynchronschwimmen schreibst. Aber was sein muß, muß sein. Bei uns gehen die Geflügelwochen weiter.

  • Kurt said:

    Ich bin’s nochmal.
    Ein Tipp für Deine Zukunft: Frauensynchronschwimmen ist ein Pleonasmus.

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