Zeit für Veränderungen

3 März 2010 Text: Matthias Häger
Foto: David_Reece / flickr.com

Im Artikel “Außer Spesen nix gewesen” haben wir uns auf das Meckern beschränkt, kritische Anmerkungen unter dem Eindruck der frisch demonstrierten Malaise, in der sich das deutsche Team in Vancouver befand. Jetzt, mit einigen Tagen Abstand, wollen wir den versprochenen konstruktiven Beitrag leisten. Auch wenn einige Leser aufstöhnen, gibt es doch in diversen Foren seit Monaten plakative “Das muss sich ändern”-Einträge. Wir möchten mit diesem Artikel auch versuchen die Stimmung in der Fanszene zu sammeln und zu verdichten und weiterzugeben. Dabei propagieren wir kein konkretes Modell, legen uns nicht auf Details fest, sondern wollen die grobe Denkrichtung anstoßen. Bei der konkreten Ausgestaltung gibt es dann zweifelsohne mehrere Wege. Also tief durchatmen und weiterlesen.

Die ersten drei Kritikpunkte lassen sich leicht aufarbeiten. An dem Punkt “Starke Gegner” können wir nichts ändern, wir müssen selber stärker werden. “Das Team” und “Der Trainer” lassen sich zusammenfassen, denn das Team, seine Zusammenstellung und sein Auftreten, wird maßgeblich vom Trainer bestimmt. Uwe Krupp hat es nicht geschafft. Ein großer Spieler, aber – das DSF-Phrasenschwein würde sich freuen – nicht automatisch ein großer Trainer. Es muss ein Fachmann her, ein erfahrener Trainer, der durch vorzeigbare Erfolge in der Vergangenheit eine natürliche Autorität hat. Der kolportierte Ralph Krueger aus der Schweiz wäre eine mögliche Lösung. Anerkannter Fachmann, der seit Jahren aus der kleinen Schweiz das Maximum herausholt. Mit ihm oder einem anderen, könnte zumindest eine kurzfristige Verbesserung erzielt werden, davon ausgehend, dass das vorhandene Spielermaterial besser ausgenutzt wird.

Ehrgeiz und viel, viel Training

Den nächsten Punkt “Strukturen” verschieben wir etwas und gehen erst kurz auf die “Körperliche Unterlegenheit” ein. Wir kommen gleich automatisch darauf. Denn um sich körperlich zu steigern ist vor allem Ehrgeiz und viel, viel Training nötig. Den Ehrgeiz verlieren aber viele junge Spieler, wenn sie sich nicht durchbeißen müssen und in jungen Jahren schon in Watte gepackt und finanziell üppig versorgt werden. Oder wenn die Perspektive für sie nicht da ist, der Grund sich zu quälen nicht existent ist. Diese Perspektive können nur die Strukturen geben. Werfen wir einen Blick auf die erfolgreichen Gegner: In Nordamerika gibt es zahlreiche Juniorenligen, wo die Talente unter Altersgenossen um die besten Plätze kämpfen. Dort nimmt ihnen kein alter Ausländer den Platz in Reihe 1 weg, jeder hat die Möglichkeit, dort Top-Scorer zu werden. Danach ist über ECHL und AHL ein fließender Übergang nach oben möglich. Auch in Tschechien und der Slowakei gibt es eine Extraliga U18 und eine Extraliga U20, ein viel sanfterer Schritt in den Profibetrieb. In Deutschland dagegen geht es nach der DNL oft direkt in die DEL auf die Bank. 2. Liga und Oberliga sind mit sich selbst beschäftigt, das echte Fördern von Talenten ist die Ausnahme. Landshut zum Beispiel macht aus der Not eine Tugend und gibt seinen Jungs auch Verantwortung. Dies ist kein Plädoyer für geschlossene Ligen nach amerikanischem Vorbild und einem Farmteam-Konzept. Wir haben in Deutschland auch die Mittel mit Förderlizenzen jungen Leuten Spielpraxis zu geben, man muss sie nur anwenden.

Geht es freiwillig nicht, dann vielleicht mit Zwang. Deutlich höhere Einzahlungen in den Reindl-Pool für die Verpflichtung von Ausländern und deutlich höhere Auszahlungen bei Verpflichtung und Einsatz von Rookies aus der DNL wäre eine Idee. Auch eine verpflichtende Anzahl von Rookies aus der DNL in der Oberliga wäre eine denkbare Variante. Man muss nur gewährleisten, dass junge Spieler ihre Einsätze im Profi-Bereich bekommen, dort auch Verantwortung übernehmen und in den Special-Teams aufs Eis gehen. Einhergehend muss zwingend eine Reduzierung der Ausländerstellen erfolgen. Nicht auf einen Schlag, aber konstant über die nächsten Jahre. Denn die Ausländer sind beliebig geworden, die wirklichen Stars werden immer seltener. Was war ein Mike Bullard in Landshut für eine Sensation, was sind im Vergleich dazu ein Kris Sparre, ein Mike Card, ein Karl Stewart? Hier lohnt sich auch der Blick in die Schweiz: Dort gibt es wenige Ausländer, dort handelt es sich um echte Top-Stars. Es wäre für das Niveau der Spiele und das Niveau der Liga langfristig besser, wenn man bei den Ausländern auf Qualität statt Quantität setzt. Es gäbe mehr herausragende Aktionen der dann besseren Spieler und gleichzeitig könnten die jungen Spieler einiges davon lernen. Das Image, eine Liga für abgehalfterte Kanadier zu sein, schadet dem deutschen Eishockey.

Hilfskonstrukt Pre-Play-Offs

Weniger Ausländer, mehr deutsche Spieler – das Gegenargument ist logisch, man habe nicht genug Spieler für die DEL. Das ist zu Beginn richtig, deshalb ist eine Verkleinerung und Homogenisierung der Ligengrößen der nächste unbedingt notwendige Schritt. Denn auch die DEL ist beliebig geworden. Man kann sich bei einigen Clubs fragen, ob sie dort wirklich etwas zu suchen haben. Mit Hilfskonstrukten wie den Pre-Play-Offs wird krampfhaft verhindert, dass für die Hälfte der Teams schon kurz nach Weihnachten die Saison praktisch gelaufen ist. Eine 1. Liga mit zwölf Mannschaften, eine 2. Liga mit zwölf Mannschaften und darunter Ligen auf regionaler Ebene. Die ersten acht spielen Play-Offs, die letzten vier Play-Downs. Je zwei Auf- und zwei Absteiger. Alles schon mal dagewesen, die sportliche Tradition in deutschen Mannschaftssportarten bleibt gewahrt. Es hätte weiter den Vorteil, dass die Hauptrunde verkürzt würde, dadurch könnte man die wirklich interessanten Play-Off-Runden alle im Best of seven-Modus austragen. Man hätte wieder Ziele für alle Mannschaften, die postulierte Planungssicherheit in der DEL ist ein Irrglaube, wie man an den gehäuft auftretenden finanziellen Schieflagen in Köln, Krefeld, Nürnberg oder anderswo sehen kann. Weg vom Gedanken, die zweitbeste Liga nach der NHL zu werden, zurück zum Heimatmarkt. Mit diesen kleineren Ligen hätte man die gleiche Menge an deutschen Spielern in der obersten Klasse bei weniger Ausländern, das Feld würde verdichtet, das Niveau würde langfristig steigen.

Damit Deutschland langfristig international wieder oben mitspielen kann, muss im Schnitt pro Jahr ein Spieler herausgebracht werden, der in Runde Eins oder Zwei von der NHL gedraftet wird. Mit Kühnhackl und Rieder gibt es zwei, was kommt danach? Es reicht nicht einfach nur, die bestehenden Spieler neu auf kleinere Ligen zu verteilen, es muss auch ein stetiger Nachschub an qualitativ gut ausgebildeten Spielern kommen, damit das langfristige Niveau steigt. Dazu muss in den Nachwuchs investiert werden. Die Spieler brauchen in der DNL schon die Konkurrenz, es muss mehr ambitionierte Nachwuchsteams als Plätze in der Liga geben, damit man sich gegenseitig pushen kann. Hier müssen die Vereine in die Pflicht genommen werden. Hauptamtliche Nachwuchstrainer und eine zweite Eisfläche sind wesentlich mehr wert als ein schnieker Videowürfel. Solch eine Infrastruktur muss ein Kriterium bei der Lizensierung werden, nicht die Anzahl der Business-Logen.

Eishockey ist eine Vollkontaktsportart

Ein letzter wichtiger Punkt, den wir ausführlich behandeln möchten, ist die Aufgabe “zurück zu den Fans”. Business-Logen und VIP-Konzepte hin oder her, am Ende spielt man immer noch für die großen Massen auf der Tribüne. Sie leben, feiern und leiden mit ihrem Team und machen die Seele eines Teams aus. Business-Kunden kommen und gehen, die Liebe zu einem Club kann ewig bleiben. Durch die vielen neuen Hallen, Sitzplatzzwang, Verbot von Wunderkerzen und Konfetti oder ständigen Musikeinspielungen und Showelementen hat man dem Eishockey die Seele genommen, kombiniert mit einer viel zu weichen Regelauslegung, treibt es die Leute aus den Stadien. Eishockey lebt auch von der Härte, von aufgeheizter Stimmung, Zuschauer müssen wieder sagen: “Da gehen wir hin, da ist was los!” Wie viele Checks sieht man denn pro Woche in Deutschland? Kaum welche und das merkt man international – unser Team war bei Olympia körperlich nicht in der Lage Akzente zu setzen. Dabei ist gerade das Körperspiel das Mittel der Wahl einer spielerisch limitierten Mannschaft. Die Regelauslegung bei Checks muss lockerer werden, Checks müssen – insbesondere auch schon in den Nachwuchsklassen – ausdrücklich erwünscht sein. Die automatische Spieldauer bei kleinen Kratzern gehört abgeschafft, saubere Fights zwischen zwei Spielern nur mit fünf Minuten ohne Spielausschluss bestraft werden. Eishockey ist und war nie der absolut familienfreundliche Sport für den sonntäglichen Kaffeeklatsch und er braucht es auch nicht zu werden. Eishockey ist eine Vollkontaktsportart. Mit einem etwas derberen, etwas härteren Image schafft man auch eine Möglichkeit, sich in der Wahrnehmung klar von anderen Sportarten abzugrenzen.

Es gibt noch einige Punkte, die man verbessern oder ansprechen könnte: Umgang mit Einbürgerungen, TV-Präsenz oder Qualität der Schiedsrichter. Aber das wichtigste wird auch so klar. Wir hoffen, dass alle Eishockey-Verantwortlichen in Deutschland die prekäre Situation endlich einsehen, STARTING6 sagt auf jeden Fall “Yes, we can!” und wird die zukünftigen Entwicklungen weiterhin kritisch begleiten.


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6 Kommentare »

  • Strafatti said:

    Unterschreib!

  • SENtinel said:

    Ein Artikel, wie man ihn besser hätte nicht verfassen können – der Autor trifft den Nagel auf den Kopf!!!

    Was mal als “Konkurrenz-Liga der NHL” angepriesen worden ist, stagniert seit Jahren und treibt so manchem Eishockeybegeisterten Tränen in die Augen! Von körperlichem Spiel sieht man kaum noch etwas, die Offiziellen scheinen auch nicht dazuzulernen bzw. die Spiele immer mehr zum Wattebällchen-Weitwurf “verkommen” zu lassen und die Öffentlichkeitsarbeit/ das Marketing der “spitzen Führungskräfte” des Eishockeyverbandes lässt auch sehr zu wünschen übrig.

    Schade, dass man sich diese “Droge” mehr und mehr aus dem TV und Internet besorgen muss, anstatt diesen faszinierenden Sport in seiner eigentlichen Form live mitzuerleben…

  • leasingsachse said:

    der artikel ist das sinnvollste, was ich seit langem zum thema eishockey in deutschland gelesen habe. wo bei ich mich besonders für diese neustrukturierung stark machen würde. genauso seh ich das auch, erste und zweite liga sowie nord- und südstaffel in der oberliga mit je 12 teams kommt dem derzeitigen niveau am nächsten. ausländerstellen weiter beschränken auf 6, 4 bzw. 2.
    vom terminplan wäre es auch sinnvoll. die PO/PD können im best of 7 modus gespielt werden, wobei die oberliga mit einem überkreuzachtelfinale der top8 beginnt im best of 3.
    termine für eine pokalrunde wären auch noch voranden, diese könnten unter der woche stattfinden beim unterklassigen verein bis zum viertelfinale mit den teams der 1. und 2. liga sowie den vier besten aus den oberligen.
    aber, dass wichtigste meiner meinung nach ist, dass die DEL endlich abrückt von ihrer meinung, nur sie repräsentieren das deutsche eishockey !!!

  • Waches Auge said:

    Sehr guter Artikel! Am Besten gleich als Fax an DEB, DEL, ESBG, Landesverbände etc. Ich fürchte allerdings der Wille zur dringenden Erneuerung fehlt bei den dafür Verantwortlichen. Sie werden tun was sie immer getan haben, nix. Vor Jahren hat Hans Zach schon den Finger in die Wunde gelegt. Was passierte? Wieder, nix. Zur DEL. Der Fisch stinkt vom Kopf, nur glaubt jemand ernsthaft das dieser Kopf sich sozusagen selber mal durchlüftet? Früher kannte ich beinahe jeden Nationalspieler, heute bist du abgehängt wenn du diesen ganzen Pay-TV Scheiss nicht mitmachst. In meinem Bekanntenkreis ist es dasselbe. Zweite Liga. Viel zu viele Ausländer. Und damit meine ich nicht die sechs erlaubten. Bei einigen Mannschaften sind es noch mal gleich viele eingedeutschte. Wettbewerbsverzerrung nennt man das. Außerdem ist es teuer und am Ende ist man Pleite. Gerade davon gab es ja in den letzten Jahren einige Beispiele (Essen, Regensburg, Tölz). Ohne eine tiefgreifende Reform, inklusive durchlässiger Ligen und entsprechender TV Präsenz wird es immer weiter bergab gehen. Hoffentlich setzt das Umdenken noch zeitig genug ein. Es ist eh schon fünf vor zwölf. Vielleicht besteht ja die einzige Chance in einer total missglückten Heim WM. Aber das wäre auch wieder schade, schließlich hab ich schon meine Karten. In diesem Sinne, schönes Wochenende @ all.

  • Blackhawk said:

    Da kann ich gar nichts weiter zu sagen, außer vielleicht, dass man es besser nicht hätte schreiben können… Den “inoffiziellen Starting6 Pulitzer Preis” hat der Artikel auf alle Fälle verdient. :)

    danke und weiter so….

  • Klima85 said:

    Zuerst einmal bedanke ich mich für den guten Artikel mit dem ich größtenteils übereinstimme.

    Vor allem sollte der Nachwuchs stärker gefördert und gefordert werden. Eine zweite Eisfläche und Möglichkeiten des freien Trainings für Nachwuchsspieler sollten vorgeschrieben werden. Es gibt sicherlich viele Spieler in den Nachwuchsmannschaften die von solchen Gelegenheiten träumen und durch diese zusätzliche Eiszeit ihre technischen Fähigkeiten verbessern würden.
    Darüber hinaus sollte mehr Wert auf physische Präsenz gelegt werden. Das soll aber nicht heißen, dass nur noch Kleiderschränke das Eis unsicher machen sollen.

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