Traditionslos? Von wegen!

11 Oktober 2010 Text: Dominik Sander
Foto: Dominik Sander / STARTING6.de

Es gibt sie in jeder Liga der deutschen Eishockey-Karte: Clubs denen alle anderen Alteingesessenen die Tradition absprechen. Wir haben die Kandidaten genauer unter die Lupe genommen und prüfen nach, was an der Vorwürfen dran ist.

Hamburg Freezers

Immer vorne dabei, wenn es heißt “Teams ohne Tradion” aufzuzählen. Richtig ist, die Hamburg Freezers in ihrer jetzigen Form existieren erst seit 2002 die DEL-Lizenz aus Landshut über München ihren Weg in die Hansestadt fand. Doch haben deshalb gleich die Hamburger keine Eishockey-Tradition? Mit dem Altonaer SV, gegründet 1893 (also fast 30 jahre vor z.B. einem Club in Füssen), gehört einer der ältesten eissportbetreibenden Vereine in den hohen Norden.  Mit derzeit vier Eishockeyclubs die eine erste Mannschaft gemeldet haben ist Hamburg praktisch schon eine Eishockey-Hochburg. dazu existieren in der Hansestadt nicht weniger als vier Eishallen und die Eisbahn Wallanlagen ist eine der größten Freilufteisflächen der Welt.

Kurz: Eishockey in Hamburg hat Tradition!

Grizzly Adams Wolfsburg

Skoda-Retortenclub, keine Fans, keine Tradition. Einzelne Wolfsburger gingen schon offensiv mit dem Motto “aus Tradition traditionslos” gegen die Diffamierungen aus ganz Eishockeydeutschland vor. Doch wer hat sich mit dem Wolfsburger Eishockey näher beschäftigt? Denn seit den 60er Jahren wird in Wolfsburg Eishockey gespielt. Damals noch auf dem Schillerteich, aber das ist doch noch echtes Eishockey! Die ersten Ligaspiele eines Wolfsburger Teams wurden im Pferdeturm zu Hannover bereits 1967 ausgetragen. Weiter ging der Spielbetrieb im Wolfsburger Vorort Altenau und seit 1983 steht in Wolfsburg auch eine Eishalle, genauer der Eispalast, der nach aufwendigen Umbauarbeiten noch heute als Heimspielstätte gilt. Doch nun aber zur entscheidenden Stelle des Wolfsburger Eishockeys. Dieser Punkt hebt die Wolfsburger auf ein Fan-Level, den keine andere Fangemeinde für sich beanspruchen kann. Denn “Grizzly Adams” hieß zunächst nur ein Fanclub, der auch eine Hobbymannschaft gemeldet hatte. Als der Stammverein in finanzielle Schwierigkeiten geriet, übernahm kurzerhand ein Fanclub(!!) den Verein.

Bei aller Schelte der anderen Fans: Wolfsburg ist der einzige Club, der aus einem Fanclub hervorgegangen ist. Mehr Fan geht nicht!

EHC München

Oh, ein Aufsteiger,… Gründungsdatum 1998. Ha, traditionslos! Sicher, der EHC München ist ein junger Verein, der schon jetzt bei den großen mitmischt. Aber schauen wir uns doch München mal genauer an: 1882 wurde in München die erste überdachte Kunsteisfläche gebaut, also über 50 Jahre bevor in Köln überhaupt ein Eissportverein existierte. Dazu gesellen sich Deutsche Meistertitel aus den Jahren 1922 und 1994. Noch heute existieren drei Vereine in München, die sich auf die vier Eisstadien verteilen. Man kann locker behaupten, dass die meisten Münchner Fans mehr Tradition mit sich tragen, als viele anderen Anhänger von DEL-Teams. Denn wer den schweren Gang durch alle unteren Ligen mitgegangen ist, und letzten Endes ganz oben ankommt, der hat es nicht verdient als “traditionslos” beschimpft zu werden. Und wer von den Fans der, nur beispielsweise, Kölner Haie hat denn Zweitliga-Spiele seines Teams angeschaut?

Von Traditionslosigkeit keine Spur.

SC Bietigheim-Bissingen Steelers

Aus der ersten Liga geht es nun in Liga zwei weiter. Nach München, Wolfsburg und Hamburg nun mal eine Kleinstadt: ca 42.000 Einwohner zählt der Vorort von Stuttgart und muss sich, wie die drei Clubs aus der DEL, ständig den Vorwurf der Traditionslosigkeit gefallen lassen. Das mag natürlich auch zu einem gewissen Grad stimmen, denn wenn man nachfragt, wann der Verein gegründet wird, bekommt man keine einheitliche Auskunft. Geeinigt hat man sich laut diversen Publikationen, Fangesängen und Fanartikel auf das Jahr 1988.  Fakt ist aber, dass die Steelers aus den SC Kornwestheim (noch ein Vorort von Stuttgart) hervorgegangen sind, deren Gründungsjahr ist nochmals 7 Jahre früher: 1981. In knappen 30 Jahren konnte man sich in Bietigheim also auf einem Niveau etablieren, vor dem der ruhmreiche SC Riessersee vor dieser Saison kapitulierte. In knapp 30 Jahren nach Gründung, kann man auf über 15 Jahre Profieishockey zurückblicken. Davon 11 Jahre in der zweithöchsten deutschen Spielklasse. Um das einzuordnen: In Schwenningen benötigte man erst einmal 23 Jahre um überhaupt ein Eishockeyspiel auszurichten. In Augsburg ginge nach Vereinsgründung gleich 51 Jahre ins Land.

Und noch etwas hat bei den “Steelers” Tradition, nämlich eben dieser Beiname. Der existiert als offizieller Teil des Vereinsnamens bereits seit 1991. Von Indians, Scorpions, Cannibals oder Eisbären war damals noch nicht die Rede, die Steelers existierten aber schon.

Aus Tradition noch keine Insolvenz. Aus Tradition noch nie abgestiegen. Aus Tradition Steelers!


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8 Kommentare »

  • FN said:

    Nett, und dennoch alles relativ. Wenn man den Bestand von Eishockey in einer Stadt als Tradition für einen Verein heranzieht, dann kann da was nicht stimmen. Der jeweilige Club selbst sollte meiner Meinung nach das Kriterium sein, und auch das ist alles sehr relativ und zweischneidig, da es nicht nur jedem selbst überlassen ist, ab wann er einem Club eine Tradition zuschreibt, sondern auch an sogenannten Traditionsstandorten wie Köln, Krefeld und Rosenheim diverse Pleiten und Neugründungen gab.

    Es ist aber auch immer eine Frage des Maßstabs. Nimmt man beispielsweise die DEG als Maßstab, dann schneiden nahezu alle DEL-Clubs verdammt schlecht ab. Immerhin 1935 gegründet, keine Insolvenz, kein Konkurs, keine Standortverlegung. Zumindest noch nicht. Nimmt man Mannheim als Maßstab, dann schneiden auch alle relativ schlecht ab, aber wenn es dann zu Köln oder Krefeld kommt, dann kann man, so man denn will, zu dem Schluss kommen, dass die genannten Beispiele nah an diese Tradition, nicht aber an die Erfolge in der Vergangenheit heranreichen.

  • Bully said:

    Danke für diesen Artikel! Das tut einem Münchner Eishockeyfan in der Seele gut! Vieleicht könnte man noch erwähnen, dass z.B. auch der SC Riessersee aus einem Münchner Verein hervorgegangen ist…

  • Wutzlhofer said:

    Ich denke auch, daß das relativ zu betrachten ist.
    Allerdings habe ich für mich die Traditionsfrage in den seltensten Fällen auf einen Club direkt bezogen.
    Selbst die so heiß geliebten Münchner (heute EHC ;) ) haben selbstverständlich Eishockeytradition. Für mich entscheidend ist durchaus der “Standort”. Formal betrachtet sind wir in Rosenheim ein junger Verein mit gerade 10 Lenzen. Auf dem Papier nicht viel Tradition.
    Es steht aber natürlich jahrzehntelang gelebtes Eishockey mit gewachsener Fanbasis dahinter (bzw. davor).
    Den Freezers hingegen spreche ich als Retortenclub selbstverständlich Tradition ab. Sie haben ja auch keine.
    Das hat aber mit dem Standort Hamburg als solches nichts zu tun.
    Gut, das mag bei mir sicherlich zum Teil auch daran liegen, daß ich ein solches Prozedere mit Franchise-Gehabe prinzipiell ablehne
    - aus Tradition, versteht sich.

  • Dominik Sander (author) said:

    @FN:
    Alles richtig. Es ist relativ und eine Frage des Maßstabes. Das macht es ja gerade so interessant. Jeder Club hat irgendwo in seiner Geschichte etwas, was kein anderer hat. Oder was der Club vor allen anderen erreicht hat. Daher hat jeder Club seine ganz eigene Tradition. Es wäre nur schön, wenn man das respektieren könnte.

    Ich gebe ja auch zu, Tradition “vergleichen”, was ich hier probiert habe, ist eigentlich nicht machbar. Dazu ist der Begriff viel zu ungreifbar und facettenreich.

    @Bully:
    Wir wollten den armen Garmischern nicht zu viel Tradition zumuten ;)

    @Wutzlhofer:
    Das finde ich nun interessant. Den Neugründungen an Traditionsstandorten wir München oder Rosenheim sprichst du die Tradition nicht ab. Den Freezers aber schon? Die sind, frech gesagt, auch nur eine Neugründung an einem Traditionsstandort.
    Sicher verstehe ich deine Argumentation, da die Freezers nie die Entwicklung eines Eishockeyvereins durchgemacht haben, sondern einfach da waren. Das heißt aber doch nicht, dass viele der heutigen Freezers-Fans die Entwicklung der Crocodiles zum Beispiel nicht mit durchgemacht haben, oder?
    Haben die Iserlohn Roosters dann auch keine Tradition? ;)

  • Thompson said:

    Schöner Artikel. Allerdings ist sowas halt echt schwierig zu beurteilen, wie meine Vorkommentatoren schon angemerkt haben.
    Geht es nach dem Standort, nach den Fans oder nur nach dem Verein?
    Als Hannoveraner ist die “Traditionsfrage” bei uns ja auch immer aktuell, diese wird den Scorpions z.B. von Seiten der ECH Fans auch immer gerne abgesprochen. Dies trifft auf eine gewisse Weise auch zu wenn man nur nach dem Standort gehen würde. Schließlich haben die Scorpions erst nach ihrem Wechsel in die DEL überhaupt angefangen in Hannover zu spielen und sich Hannover zu nennen, davor war es halt der ESC Wedemark. Dieser existiert allerdings schon viel länger.
    Bei den EC Hannover Indians ist das dann wieder anders herum, zig Vereinsneugründungen in der Vergangenheit, aber immer am gleichen Standort. Wir rühmen uns zwar damit “Hockey since 1948″ zu spielen, der aktuelle Verein “EC Hannover Indians” existiert allerdings erst seit 2004.
    Alles nicht so einfach in der Welt der “Traditionalisten”.
    Letzt endlich aber auch egal, Eishockey ist zwar die schönste Nebensache der Welt, es wissen wohl nur leider zu wenig Leute. Somit freu ich mich eigentlich über jeden Eishockeyfan, auch wenn es ein Scorpionsanhänger ist ;)

  • Wutzlhofer said:

    Ich sage ja, dass das relativ zu betrachten ist.
    In Iserlohn wurde ja damals 2000, wenn ich das richtig sehe, nur die Profiabteilung in die Roosters-GmbH ausgelagert. Aber der Standort als solcher besteht ja schon seit einigen Jahrzehnten (wenn man die Vorgängervereine mit einbezieht…) Ich meine damit, es zieht sich eine Art “roter Faden” durch. Wie beispielsweise in den oben angesprochenen Orten auch.

    - Wenn man sich mal vorstellt: Mit ein bisschen Glück hätte es Hügelsheim vielleicht auch schaffen können. Die würden dann heute unter einem schicken Namen wie Baden-Baden Croupiers mit unserer Lizenz spielen ;) . Das aber nur am Rande –

    Nun ist es auch in der Regel so, dass es in größeren Städten mehr Vereine gibt, die eine Sportart, hier Eishockey, tragen. Wenn das dann irgendwann jahrzehntelang geschehen ist, sprechen wir von Tradition.
    Aber “[...] Tradition “vergleichen” [...]” ist schwierig, wie Du ja selbst schreibst. Wenn wir dennoch vergleichen wollen, dann ja eigentlich nur mit System. Z.B. die Proficlubs miteinander und nicht sämtliche Vereine.
    Doch auch diese Betrachtung ist nicht einwandfrei. Schließlich gibt es sehr traditionsreiche Vereine, die vielleicht nur im semiprofessionellen Bereich spielen, aber höchst professionelle Nachwuchsarbeit betreiben. Was man wiederum nicht von jedem “Proficlub” behaupten kann. Schwierig eben.
    Was die Freezers betrifft, so behaupte ich gar nicht, dass das objektive Allgemeingültigkeit hat, was ich oben geschrieben habe.
    Es will nur einfach nicht in mein sportliches Verständnis passen, dass es möglich ist, einen Eishockeyclub (von Verein will ich erst mal gar nicht sprechen), in der obersten Liga quasi neu zu erfinden. Dass sich diesem neu entstandenen Proficlub dann Anhänger der eingesessenen Vereine zuwenden, finde ich wiederum nicht schlimm. Denn natürlich muss an sich jede Tradition auch irgendwann einmal ihren Anfang haben.

    Das Prinzip aber, den Weg nicht über eine Vereinsgründung zu gehen (oder von mir aus auch einen unterklassigen Verein mit Potenzial aufzubauen), sondern den Direkteinstieg ins Profieishockey über eine Gesellschaft zu vollziehen, die mit einer entsprechenden Lizenz ausgestattet wird, lehne ich strikt ab.
    Wobei sich da wieder die Frage stellt, wen man eigentlich verurteilen soll. Den, der so etwas anstrebt oder den, der es letztlich ermöglicht…

  • Lacket said:

    Wenn schon dann wurde die Eishockeyabteilung von Münchnern gegründet und nicht der Verein ;)
    Und auch hier waren ein paar Garmischer dabei. Aber kann ja nichts dafür wenn alle wegen der schönen Bergluft und der Natur nach GAP wollen :D

  • Th. L. Jones said:

    Dem Artikel kann ich nicht ganz zustimmen.
    Entscheidend ist für mich, wie lange es einen Verein ununterbrochen gibt, und zwar ohne Insolvenz und am besten ohne Namensänderung, auf jeden Fall zählen aber keine anderen (Vorgänger-)Vereine, die mit dem aktuellen Verein nichts zu tun haben.
    Beispiele:
    Hamburg: Eishockey hat in der Stadt Hamburg durchaus Tradition, der Verein Hamburg Freezers nicht!
    Bietigheim: Ein 1988 gegründeter und von Porsche finanzierter Verein: Wo ist da die Tradition?
    Füssen: Eissportverein Füssen (EVF) zwar schon 1922 gegründet, aber 1983 untergegangen, seitdem Eislaufverein Füssen (wiederum EVF). Also: Eishockey in Füssen hat eine sehr lange Tradition, der heutige Verein existiert jedoch erst seit 1983!
    Landshut: EV Landshut 1948 gegründet, mittlerweile in Cannibals umbenannt. Aber immerhin: Den Verein gibt es seit 1948 ununterbrochen.
    Kaufbeuren: ESVK 1946 gegründet und läuft seit dem unter dem Namen. Es gab ein Intermezzo als Adler und es gibt den Beinamen Buron Joker, aber der Verein hieß durchgehend ESV und das ist auch heute noch so.
    Davos: Musterbeispiel eines Traditionsvereins: 1921 gegründet, seitdem ein Name: HCD

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