Experimente

19 August 2010 Text: Matthias Häger
Foto: Dan4th / flickr.com

Während es in Deutschland einige Regeländerungen zur neuen Saison gibt, ist man in Nordamerika schon einen Schritt weiter und experimentiert mit ganz ungewöhnlichen Änderungen. Im Rahmen eines Rookie-Camps werden 33 potentielle Top-Drafts für den 2011er Draft zu Versuchskaninchen umfunktioniert und vier Tage lang von Oberaufseher Dr. med. vet. Brendan Shanahan über das Eis gescheucht. Dabei testen sie insgesamt 28 Regeländerungen. Eine abschließende Keulung nach Versuchsende ist nicht geplant, das Gnadenbrot bleibt verwehrt. Was sind denn die empirisch zu untersuchenden Hypothesen, für die man in der NHL Menschenversuche braucht?

Schneller, härter und mehr Tore

Wie immer möchte man das Spiel attraktiver gestalten. Schneller, härter, mehr Torszenen, mehr Tore. Möglichst wenig Bullys, möglichst wenige Unterbrechungen. Nur noch Pausen für die Werbung, nicht mehr spielbedingt. STARTING6 stellt einige der revolutionärsten Ideen vor. Nicht alle, denn das die Amerikaner das No-Touch-Icing testen, das wir in der alten Welt schon viele Jahre spielen, darüber brauchen wir nicht zu reden. Dafür müssten auch keine Versuchstiere geopfert werden. Die PETA ist informiert.

Verschobene Bully-Kreise und Linien: Die Angriffszonen werden größer, die blauen Linien rücken zur Mitte. Schon wieder mag der geneigte Leser fragen. Richtig, schon wieder, denn die NHL hat die Angriffsdrittel erst vor einigen Jahren vergrößert. Wenn das so weitergeht, sind in Bälde rote und blaue Linien deckungsgleich, das Spielfeld nur noch in zwei Hälften geteilt. Für Hans Zach das Karriereende, für die Landshut Cannibals das Aus, könnten sie doch ihre bewährte Taktik “die neutrale Zone zustellen” nicht mehr ausführen. Zusätzlich rücken die Bullykreise im Drittel in die Mitte, bzw. gibt es nur einen pro Drittel, zentral vor dem Tor. Der Puck soll im Spiel gehalten werden, da das Bully dort gefährlicher wird. Aber insgeheim ist es doch eine große Erleichterung für Schiedsrichter und Spieler, sich nicht mehr zigfach pro Spiel mit dem Problem zu beschäftigen “rechts oder links – wo mache ich jetzt bloß das nächste Anspiel?”

Das nicht mehr eingeworfene Bully und die freie Wahl des Gegners: Bullys sind unfair, so sieht man das in der NHL, und doktert deshalb daran rum. Eine Idee schützt die Linienrichter. Die Spieler nehmen Aufstellung, der Linienrichter legt den Puck auf den Bullypunkt, verdünnisiert sich in Windeseile und bläst aus sicherer Entfernung in seine Pfeiffe. Dann geht das Gemetzel los, bei dem beide Spieler auf den Puck stürmen. Der Fairnessgewinn ist logisch, denn ohne einen ständig nervenden Linesman, der ihnen sagt, was sie dürfen und was nicht, verhalten sich die Spieler fair und brav, bleiben in aller Ruhe stehen bis der Pfiff kommt und provozieren auf keinen Fall ihren Gegner. Sicher dat! In Deutschland würde diese Regel Nachteile bringen, lebt doch so mancher Linienrichter hierzulande seine Machtphantasien an jedem Freitag abend aus, in dem er theatralisch den Einwurf des Pucks zelebriert.

Doch auch an diese Herren ist gedacht, gibt es doch noch einen zweiten Vorschlag. Haben die Schwarz-Weißen mal wieder domina-gleich den heimischen Star-Center weggeschickt und sonnen sich in der Mißgunst der Fankurve, dann tritt der Spielerrat der anderen Mannschaft zusammen. Nach dem getesteten Vorschlag darf nämlich der nicht-weggeschickte Spieler entscheiden, welcher Spieler der anderen Mannschaft das Bully ausführen muss. Dabei darf er auch einen Verteidiger wählen, Torhüter und Zeugwart sind ausgeschlossen. Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon Christian Brittig 12 Sekunden vor Spielende eine Auszeit nehmen, um gemeinsam zu beraten, gegen welchen Spieler man jetzt am besten das Bully spielt. Das dauert und dauert und dauert…

Dann doch lieber der dritte Vorschlag: Ein Spieler, der gegen die Bullyregeln verstößt, wird nicht weggeschickt, sondern muss 30 Zentimeter zurückweichen, um einen Nachteil beim Bully zu haben. Macht er das öfter, steht er irgendwann mit dem Rücken zur Bande und kann den Schläger höchstens noch in Richtung Puck werfen. Zudem, wie will ein Schiedsrichter so genau wissen, was 30cm sieht?

Mysterium Overtime: Ein Eishockeyspiel muss entschieden werden, doch Penaltyschießen und Verlängerung sind nicht spektakulär genug. Also testet man hier neue Formate, die vor allem vorsehen, vor der Overtime die Seiten zu wechseln. Dadurch wird der Weg zur Bank länger, gerade bei reduzierter Spielerzahl. Und die soll reduziert werden: Drei Minuten 4-gegen-4, dann drei Minuten 3-gegen-3, dann drei Minuten 2-gegen-2. So lautet ein Vorschlag, den man ausprobiert. Warum nicht gleich so weiter? Danach 1-gegen-1 und am Ende gehen die Torhüter aufeinander los. Brot und Spiele. Wir haben immer noch einen Mannschaftssport.

Verpöntes Abseits, böses Icing: Schon immer ist es so, dass eine Mannschaft nach dem Icing zum Bully ins andere Drittel muss. Jetzt soll sie dies auch tun, wenn sie ein Abseits verursacht hat. Zudem darf sie weder bei Icing, noch bei Abseits wechseln und in Zukunft soll es auch in Unterzahl kein straffreies Icing mehr geben. Für manch unterlegenes Team wird das eine Tortur, Wechsel von mehreren Minuten bahnen sich an, bis endlich das erlösende Gegentor fällt.

Zum guten Schluss: Das Netz: Der letzte Vorschlag schließlich betrifft die Farbe der Netze. Die NHL testet rote Netze, der Hintergedanke ist, dass ein Spieler, der beim Torschuss nach einer freien Möglichkeit zum Einnetzen sucht, das rote Netz schneller erkennt, als das Weiße, dass sich kaum von Eis und Bande abhebt. Damit das funktioniert, bedarf es einiger Grundannahmen: Spieler müssen platziert schießen können, Spieler müssen vorher gucken, wohin sie schießen wollen, Spieler müssen denken. Gerade bei letzterem ist doch so mancher Zweifel nicht unangebracht. Statt rot könnte man das Netz doch gleich in Vereinsfarben lackieren.

STARTING6 ist gespannt, welche dieser Ideen wir in den nächsten Jahren wirklich sehen. Was gefällt Euch oder was würdet Ihr Euch noch wünschen?


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3 Kommentare »

  • Ralf Leising said:

    Mir gefällt die Idee mit den roten Netzen am besten, Lone. Da wäre ich sofort dafür, das bei uns in Kaufbeuren umzusetzen – dann wären die vom Stadtwappen entlehnten “galatasaresken” Vereinsfarben Rot und Gelb doch noch für etwas nützlich gewesen…wären da nur nicht diese lästigen Grundannahmen…Mist – da muß ich mir wohl doch etwas neues für den sinnvollen Einsatz der Vereinsfarben suchen! Bliebe also nur noch das Eis! Die Linien in rot und gelb ist mir dabei viel zu wenig – es müßte schon die ganze Eisfläche sein! Eine Hälfte in rot und die andere in gelb! Augenkrebsrisiko? Nur für die Gästefans und Gästespieler! Aber das ist ja die Absicht! Die ESVK Spieler bekommen gelbe Visire und die Heim-Zuschauer Brillen mir orangefarbenen Gläsern! Alles kein Problem! Und die Punkte, die bleiben, nachdem sich bereits die Mägen und Därme der Gäste (sowohl auf dem Eis als auch auf den Rängen) schockartig entleert haben, regelmäßig sicher in Kaufbeuren! Gefällt mir! DAS ist der Nutzen greller Vereinsfarben, liebe Leute!

  • George J. King said:

    Ich finde, der Linienrichter sollte den Puck nicht auf den Bullypunkt legen, bevor er sich vom Acker macht, sondern den Puck aus der Entfernung von der Bande aus einwerfen. Die Spieler stehen dann natürlich nicht im Kreis, sondern alle rund um den Kreis und stürzen sich dann auf den Puck. Danach wirft der linke Verteidiger den Puck zu einem Stürmer, der rennt los und wirft den Puck hinter der Torauslinie auf den Boden. Anschließend wird derjenige, der solche Regeln vorschlägt, vom Torhüter über die Plexiglasbande getreten, für einen Extrapunkt.

  • Sebastian Steinsdörfer said:

    oOoOoO…

    ich ahne furchtbares… da kommt nächste Saison mehr auf uns zu wie rückwärtslaufende Uhren…

    Was sagt amnesty international dazu, den Linesmen Ihre liebste Aufgabe zu entreisen. Ich bin für eine Petition.

    PRO BULLY – PRO LINESMEN

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