Eine Frage der Blickrichtung

25 Mai 2010 Text: Matthias Häger
Foto: vladislav.bezrukov flickr.com

Es gibt Überraschungen, die hat man auch als Vertreter der schreibenden Zunft ganz gerne. Da hatten wir uns vorgenommen, die Eishockey-WM kritisch zu betrachten, Abrechnungen mit dem System Krupp und dem deutschen Eishockey waren gedanklich schon vorgeschrieben und dann passiert dieses Frühlingsmärchen, dass uns gar keinen Anlass zur Kritik mehr gibt. Das deutsche Team, angetrieben von einem Zuschauer-Weltrekord und einem tollen Publikum wächst Spiel für Spiel über sich hinaus, schlägt die Schweiz im Viertelfinale, ist lange Zeit mit Russland im Halbfinale auf Augenhöhe und scheitert dann nur knapp im Spiel um Platz 3. Die Bronzemedaille verpasst, die Herzen gewonnen – so lässt sich diese schon jetzt legendäre Weltmeisterschaft zusammenfassen.

Was bleibt?

Die erste internationale Medaille seit Olympia 1976 wurde zwar knapp verpasst, doch die beste WM-Platzierung seit 1953 bleibt bestehen. Und nimmt man die komischen Modi der früheren Turniere mal genauer unter die Lupe, dann fehlt jedem früheren Erfolg die Breite an der Spitze, die das diesjährige Turnier aufzubieten hatte. Man kann mit Fug und Recht behaupten, dass die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft heuer das beste WM-Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren hat. Herzlichen Glückwunsch.

Es bleibt weiterhin die Erinnerung an 77.803 Zuschauer in der Veltins-Arena auf Schalke, die Eishockey-Deutschland zumindest für kurze Zeit einen Weltrekord beschert haben. Auch wenn sich zu Norwegen – Schweiz nur knapp 1.900 Zuschauer in die SAP Arena bequemten und das Spiel um Platz 3 – auch angesichts gesalzener Ticketpreise – nicht ausverkauft war, mit der Gesamtzahl von 545.000 Zuschauern kann und muss der DEB zufrieden sein.

Sportlich bleiben neben dem Erfolg der gesamten Mannschaft besonders zwei Spieler im Gedächtnis: Dennis Endras, der Torwart aus Augsburg, wurde zum besten Torhüter und zum MVP des gesamten Turnieres gewählt. Mit der Auszeichnung als wertvollster Spieler sorgte er für ein Novum unter deutschen Eishockeyspielern und stach bei der Wahl millionenschwere Weltstars wie Alexander Oveckin, Pavel Datsjuk oder Jaromir Jagr aus. Die Berufung ins All-Star-Team ist logische Konsequenz, dort trifft er auf seinen Landsmann Christian Ehrhoff. Der gebürtiger Moerser zeigte, warum er zu den besten Verteidigern der Welt gehört und hob das deutsche Spiel in der Zwischenrunde auf ein neues Level, trotz langer NHL-Saison und frustrierendem Playoff-Aus ein Vorbild an Einsatz- und Laufbereitschaft. Deutschland hat mit ihm einen Star, vergleichbar Philipp Lahm oder Michael Ballack. Doch kennen tut ihn vermutlich nur ein Bruchteil. Leider. Endras und Ehrhoff erreichten mit ihrer Nominierung etwas, das zum letzten Mal 1987 gelang. Damals waren mit Gerd Truntschka und Udo Kießling zwei deutsche Spieler im All-Star-Team vertreten, auch wenn Deutschland damals nur den 6. Platz erreichte.

Am Ende bleibt auch die Erkenntnis, dass Eishockey das Potential hat die breite Masse zu mobilisieren. Dies zeigt sich nicht nur bei den Zuschauern, sondern auch bei den TV-Einschaltquoten. Sport1, sonst eher bekannt für LKW-ziehende Muttis und Sexy Sport-Clips, ist ein Spartensender, der in der Regel bei gut sechsstelligen Einschaltquoten schon den Sekt kaltstellt. Trotz der Tatsache, dass der Kanal auf vielen Fernbedienungen vermutlich jenseits der 15 angesiedelt ist, wurden in Viertel- und Halbfinale sensationelle Quoten erreicht. Mit 2,49 Millionen Zuschauern im Schnitt (3,9 Millionen in der Spitze, 16,1% Marktanteil) war man beim Halbfinale Tagessieger. Es ist keine gewagte Aussage, dass das Spiel auf einem prominenten Sender (ARD) locker die doppelte Zuschauerzahl erreicht hätte. Doch freuen wir uns über den Erfolg von Sport1, der Sender hat sich bei den Übertragungen viel Mühe gegeben, die Berichterstattung war umfassend, die Kommentatoren kompetent und mit fiebernd, Interviews und Experten erfrischend.

Eigentlich könnten wir an dieser Stelle auf die Lobeshymne den Deckel drauf machen und den Artikel abschließen, doch leider geht es im deutschen Eishockey nicht ohne Nebengeräusche ab. Auf Seite beschäftigen wir uns mit den Folgen der WM.

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